25.10.14

Im Krankenhaus

Die Tür des Krankenzimmers öffnet sich, man sieht den Teil einer Glatze, einen leichten Haarkranz darum und das Bett, auf dem der Mann mit dem Kopf zuerst ins Zimmer geschoben wird.

"Ich wünsche Ihnen einen wunderschönen guten Morgen! Ich sehe Sie zwar nicht ..."

So zugewandt war mein Bettnachbar meistens, auch wenn er Anlass genug gehabt hätte, in seinen Problemen zu versinken: Vier Organe waren ihm heraus operiert worden, er hatte Krebs eines fortgeschrittenen Stadiums, musste wegen der fehlenden Organe zusätzliche Medikamente zu genau vorgeschriebenen Gelegenheiten zu sich nehmen, musste lernen, sich Insulin zu spritzen, dafür natürlich sich in den Finger stechen, mit dem Minicomputer den Zuckergehalt des Blutes bestimmen, auf einer Tabelle ablesen, wie viele Einheiten Insulin zu spritzen waren und sich mit der korrekten Nadelhaltung mit dem korrekten Tempo spritzen. Entsprechend musste er den Umgang mit seinem Stoma lernen.

Zugewandt war er und fröhlich. Beides waren hervorstechende Eigenschaften; aber seine Musikbegeisterung stand dem nicht nach.
Ein frisch Operierter jenseits der 75 wird im Krankenbett nicht Opernarien schmettern. Aber von Anfang an hörte man ihn immer wieder die Musik, die er gerade in seinem geliebten Bayern Klassikradio hörte, mitsingen. Wenn er von Werken sprach, die er besonders schätzte, sang er immer wieder Tonbeispiele dazu, und bei aller Wertschätzung von Beethovens Sinfonien, die er teilte ("Ich höre gerade die Eroica." Und dazu brachte er wieder die wichtigen Themen zu Gehör.). Dass Schuberts große C-Dur-Sinfonie* zu den bedeutendsten Sinfonien überhaupt gehöre, das wollte er seinem musikalisch weniger gebildeten Zimmergenossen nicht vorenthalten.

Dass meine erste persönliche Begegnung im Krankenhaus so ausfallen würde, hätte ich nach der bestürzenden Information nach der Vorsorgeuntersuchung nicht erwartet.

Als dann am Sonntag Morgen der Posaunenchor spielte, sang er jedes Kirchenlied mit und teilte allen, die ihn anriefen, aber auch dem Pflegepersonal mit: "Ich habe eine wunderbare Erfahrung gemacht. Heute morgen hat ein Posaunenchor gespielt!"

Natürlich hatte er Zeiten, wo seine ständige Appetitlosigkeit, die Aufforderung, sich einer "aggressiven Chemo" zu unterziehen, und anderes ihn einmal schweigsamer werden ließen. Aber seine Begeisterungsfähigkeit brachte es bald dazu, dass wir vor dem Frühstück erst einmal ein paar Choräle sangen.

So kleinmütig ich oft bin und auch diesmal immer wieder einmal war: Ein solches Vorbild ist eine große Stärkung.

*Diese Sinfonie wurde zu Schuberts Lebzeiten nicht aufgeführt. Erst Robert Schumann entdeckte sie wieder und konnte Felix Mendelssohn-Bartholdy dafür gewinnen, sie 1839 aufzuführen. Schumann schrieb über die „himmlische Länge der Symphonie" "wie ein dicker Roman in vier Bänden etwa von Jean Paul, der auch niemals endigen kann und aus den besten Gründen zwar, um auch den Leser hinterher nachschaffen zu lassen“. 



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